Mein Kind kommt schreiend und schimpfend zu mir. Papa ist so gemein. Er holt mir nicht die Hose, die ich will. Ich nehme ihn in den Arm und höre mir seine Geschichte an.
(Den anderen Ablauf hab ich so aus der Entfernung mitbekommen:
Sie haben gemeinsam besprochen, was angezogen wird. Im Bad gab es aber dann eine Meinungsänderung. Den neuen Kleiderwunsch soll er selber aus dem Zimmer holen. Das geht aber nicht, denn er kann plötzlich nicht mehr selber gehen.
Jetzt liegt er neben mir und erzählt mir, dass sein Papa gemein ist, weil der nicht tut, was er ihm sagt.
Kurz probier ich es aber, statt noch länger die Situation für ihn zu erklären, hab ich eine Idee, um was es wirklich geht.
Ich folge meiner Intuition.
Hey mein kleiner. Ich hab dich lieb.
Nein hör auf. Du sollst mich nicht liebhaben.
Ich hab dich lieb. Das Schreien und um dich schlagen mag ich nicht.
Nein, du sollst mich nicht lieb haben.
Ich hab dich lieb, egal ob du schreist oder tobst.
Ich mag nicht, dass du mich lieb hast.
Ich hab dich so lieb, wie ich dich umarmen kann.
Ich will nicht, dass du mich lieb hast.
Dein Papa hat dich so lieb, wie er seine Hände ausstrecken kann.
Nein, hat er sicher nicht. Der ist gemein.
Dein Papa und ich haben dich lieb. Egal ob du grantig bist, schreist oder schimpfst.
Ich hab euch aber nicht lieb, weil ihr seid gemein.
Du kannst mich schlagen und treten. Das mag ich gar nicht. Aber dich hab ich lieb. Bis zum Mond und noch viel weiter.
Weißt du was! Es ist okay, dass du dich ärgerst. Ich ärgere mich manchmal darüber, dass ich etwas 5-mal sage und du reagierst nicht.
Nein, das stimmt nicht.
Manchmal, wenn ich mich ärgere wird meine Stimme ganz laut. Hast du das schon mal mitbekomme?
(Genervtes) Hm. Weiß ich nicht!
Manchmal, wenn ich wütend bin, werden meine Hände zu einer ganz festen Faust. Da tun mir die Fingernägel weh, die Schultern und der Hals sind fest und meine Zähne drücken zusammen,
Nein, nein, nein. Hör auf zu reden.
Und weißt du was! Deine Cousine hat dir mal ein Buch vorgelesen, da hat das Kind seine Wut im großen Zeh gespürt. Genau da. (Ich zeig ihm meine große Zehe.)
Nein, das glaub ich nicht.
Wo spürst denn du, dass du wütend bist? Machen deine Hände eine Faust? Beißt du die Zähne zusammen oder spürst du das auch im großen Zeh?
(Mit weniger grantigen Stimme) – Im Bauch.
Die Wut darf aus dem Bauch raus. Du darfst schreien, auf den Boden stampfen, hüpfen. Du darfst deine Wut rauslassen. Dich oder jemanden anderen darfst du dabei aber nicht verletzen. Du darfst deine Wut rauslassen, ohne was kaputtzumachen.
So ähnlich lief die Unterhaltung ab.
Ich geb ihm nochmal eine Umarmung und sag ihm wie lieb ich ihn hab.
Mama, ich hab dich auch lieb.
Manchmal suchen wir nach einer Bestätigung, ob wir geliebt werden auf eine sehr verdrehte Art.
Die Momente, in denen wir uns gegenseitig beibringen, entstehen spontan und manchmal auch geplant.
Den restlichen Tag sag und zeig ich ihm deutlich, dass ich ihn lieb hab. Ganz bewusst.
Zu spüren, was im Körper los ist, wo das genau ist, und was wir damit machen können ist schon was Mächtiges. Zu verstehen, was da in meinem Körper vorgeht, gibt mir Ruhe und Kraft. Manchmal ist es ein Hilfeschrei, wie jetzt gerade meine halb verspannter Nacken. Mein Körper braucht Erholung – Schlaf, um genau zu sein.
Auf die Ausbrüche meines Kindes bewusst mit (noch mehr) Liebe zu reagieren, verlangt immer ein Hinauswachsen über mich selbst. Ich bin das noch nicht gewohnt. Manchmal versage ich dabei aber sowas von.
Die spontane Reaktion wäre auch auszuflippen. Oder eine sachlich logische Erklärung abzugeben. Ihm etwas an den Kopf zu werfen, „So geht das nicht. Ändere dein Verhalten“ etc. – Aber was bringt das in der Situation? Hilft ihm das? Wer von uns beiden reagiert Erwachsen?
Jetzt macht Astrid Lindgrens Aussagen für mich noch viel mehr Sinn.
„Gebt den Kindern Liebe, mehr Liebe und noch mehr Liebe…“
„Kinder benötigen Liebe, … sie wollen und brauchen auch Normen.“